Jugendparlament rüttelt am Leipziger Heldendenkmal Goerdeler

Carl Friedrich Goerdeler war von 1930 bis 1937 Leipzigs Oberbürgermeister, bevor er sich dem Widerstand gegen die NS-Herrschaft anschloss und hingerichtet wurde. In Leipzig gibt es ihm zu Ehren ein Denkmal am Neuen Rathaus. Auch der Goerdelerring wurde in seinem Gedenken getauft. Doch Goerdeler ist auch umstritten. Das Jugendparlament der Stadt Leipzig fordert einen anderen Umgang mit ihm und hat damit eine kontroverse Debatte angestoßen.

  • Das Jugendparlament verlangt einen neuen Umgang mit der Person Goerdeler. Man müsse die Goerdeler im Kontext seiner Zeit sehen, findet Museumsleiter Hartinger.
  • Geschichtsprofessor van Laak begrüßt den Gedanken einer neuen Biographieschreibung.
  • CDU-Stadtrat Weickert lehnt jegliche Diskussionen über Goerdeler ab.

Das Jugendparlament der Stadt Leipzig hat einen Beschlussvorschlag an den Stadtrat gerichtet. Die Nachwuchspolitiker verlangen unter anderem, das bisherige Goerdeler-Denkmal zu beseitigen. Die Jugendlichen wollen eine kritische Auseinandersetzung mit der Figur Goerdeler, sagt Sprecherin Hannah Lilly Lehmann: „Goerdeler ist im Allgemeinen als Oberbürgermeister zur NS-Zeit wahnsinnig glorifiziert. Das ist im Prinzip auch der einzige Punkt, der in diesem Denkmal rüberkommt. Es kommt nicht rüber, dass Goerdeler sich zum Beispiel selbst nicht als Demokrat bezeichnet hat.“

Neues Denkmal, neues Gedenken

Ein neues Denkmal soll her, fordert das Jugendparlament. Es sollte im Austausch mit der Zivilgesellschaft entstehen, bei dem auch die Opfergruppen des Zweiten Weltkriegs mit einbezogen werden sollen. „Wenn dieses Denkmal einfach verschwinden würde, dann würden wir uns ja davor scheuen, uns mit unserer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das ist das Letzte, was wir mit diesem Antrag möchten.“

Schlüsse ziehen für heutige Zeit

Das betont auch Adrian Habermann vom Jugendparlament: „Wir als neue Generation möchten diese Säule neu verhandeln, ohne dass die Erinnerung, das Gedenken in irgendeiner Form ausgelöscht werden. Das wäre nicht zielführend. Aber gerade in der aktuellen Situation kann man sicher auch von Goerdeler lernen und Schlüsse ziehen.“

Ehrung für Widerstandskämpfer Goerdeler

Carl Friedrich Goerdeler war 1937 als Oberbürgermeister von Leipzig zurückgetreten. Er schloss sich später dem Widerstand um Graf Schenk von Stauffenberg an, der Hitler mit einem Bombenattentat töten wollte, und wurde dafür von den Nazis hingerichtet. Der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, Anselm Hartinger, findet es richtig, sich kritisch mit der Erinnerungskultur auseinanderzusetzen und dabei auch bekannte Persönlichkeiten einzubeziehen.

Bevor man jemanden verurteile, müsse man aber versuchen, die Person und die Zeitumstände zu verstehen: „Das Denkmal ehrt nicht den nationalkonservativen Politiker Goerdeler, sondern einen Menschen, der sich nach einem langen Weg entschieden hat, Deutschland von Hitler und dieser Diktatur zu befreien. Daran sollten wir heute nicht rütteln. Über vieles andere kann und sollte man auf Augenhöhe reden.“

 
Widersprüchliche Persönlichkeit

Dirk van Laak, Professor am Historischen Seminar der Universität Leipzig, beurteilt die Beschlussvorlage des Jugendparlaments kritisch. „Die Behauptung, er sei Antisemit gewesen, ist unter anderem seit Peter Hoffmanns Buch ‚Carl Goerdeler gegen die Verfolgung der Juden‘ ausführlich infrage gestellt worden. Der Antrag des Jugendparlaments vereinseitigt Aspekte der Biographie, die meines Erachtens im gesamten zeitgeschichtlichen Zusammenhang zu sehen und einzuschätzen sind.“

Er hält eine neue Goerdeler-Biografie für notwendig, die auf dem aktuellen Stand der biografischen Forschung argumentiere. „Für mich ist Goerdeler ein herausragendes Lernbeispiel für die Ambivalenzen solcher konservativ geprägter Personen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ich hätte absolut nichts dagegen, den Fall Goerdeler neu aufzurollen und auf aktueller historischer Grundlage neu zu diskutieren, was an Goerdeler eher eindrucksvoll und was eher problematisch ist.“

CDU lehnt Diskussion ab

Bei den Stadtratsfraktionen stößt der Antrag des Jugendparlaments auf Ablehnung. Der CDU-Abgeordnete Michael Weickert nennt den Vorschlag „absurd“: „Es gibt in der Geschichte, glaub‘ ich, keinen reinen Helden, auch wenn wir uns das wünschen würden. Und so ist natürlich auch Goerdeler jemand mit Licht und Schatten. Aber ich finde, es gehört sehr viel Mut dazu, sich auch in so einer Zeit doch so klar auch vom Naziregime zu distanzieren. Ich glaube, es ist einfach unanständig, was das Jugendparlament hier versucht.“
Kontroverse Auseinandersetzung ist Teil der Demokratie

Für die Demokratieforscherin Dr. Kathrin Hahn-Laudenberg von der Uni Leipzig gehört die kontroverse Auseinandersetzung zur Demokratie dazu. „Das Jugendparlament ist in der Tat hier in Leipzig ein richtiger politischer Akteur, der nicht nur das Recht hat, über den Jugendbeirat einen Antrag in den Stadtrat formal einzubringen, sondern wirklich auch politische Themen zu setzen.“ Gleichermaßen habe der Stadtrat die Freiheit, den Antrag abzulehnen. „Die Fraktionen können das durchaus auch kritisch beurteilen. Das ist das Recht des Stadtrates, das zu tun.“

Entscheidung in den kommenden Monaten

Wie die Leipziger Stadtverwaltung MDR SACHSEN auf Nachfrage mitteilte, halte man am Denkmal für den ehemaligen Oberbürgermeister Goerdeler fest. Das Denkmal gehöre zu den wichtigen Erinnerungsorten in der Stadt, so ein Stadtsprecher. Der Antrag des Leipziger Jugendparlaments zum Gedenken an Goerdeler soll in den nächsten Monaten dem Stadtrat zum Beschluss vorgelegt werden.

Wer ist Carl Friedrich Goerdeler

– Carl Friedrich Goerdeler (1884-1945) war Jurist und von 1930 bis 1937 Oberbürgermeister der Stadt Leipzig.
– Die Machtergreifung der NSDAP 1933 bewertete Goerdeler zunächst positiv, weigerte sich jedoch, Mitglied der Partei zu werden und entwickelte sich im Folgenden zu einem entschiedenen Gegner des NS-Regimes.
– Als 1936 das Leipziger Denkmal des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy wegen dessen jüdischer Herkunft beseitigt werden sollte, ließ sich Goerdeler aus dem Amt als Oberbürgermeister entlassen.
– In den Folgejahren bildete sich um Goerdeler ein konservativer Kreis des zivilen Widerstands heraus, der das Ende der Nazi-Herrschaft herbeiführen wollte. Nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli wurde Goerdeler im August 1944 denunziert, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.